Was wäre gewesen …
… hätte es unter den Nazis schon
Computer gegeben, wären EDV, e-mail, Plastikgeld, Handys,
soziale Netzwerke und andere Produkte des digitalen Zeitalters schon
verwendet worden? Andreas Eschbach entwirft eine so interessante wie
verstörende Dystopie, die jedoch in der Vergangenheit spielt,
nämlich während der Zeit des Dritten Reichs.
Zum Inhalt: Seit der Wirkungszeit der
beiden (realen) Vorläufer der EDV, Charles Babbage und Ada Lovelace,
hat sich die Welt schneller gedreht. Die elektronische
Datenverarbeitung wurde mit rasantem Tempo weiterentwickelt, sodass
die ersten „Komputer“ mit Bakelit-Gehäusen schon in der Ära
Wilhelms II. miteinander vernetzt wurden. In der Zeit von Hitlers
Machtübernahme gibt es somit bereits die Elektro-Post, man
kommuniziert öffentlich im „Deutschen Forum“ und anderen
Netzwerken, und anstelle von Bargeld, das im Dritten Reich völlig
abgeschafft wurde, verwendet man eine Bezahlkarte. Das Programmieren
gilt jedoch als untergeordnete „Frauenarbeit“.
Eine der sogenannten
„Programmstrickerinnen“ ist Helene Bodenkamp. Die aufgeweckte
Akademikertochter arbeitet im NSA (Nationales Sicherheits-Amt), einer
bereits in der Kaiserzeit gegründeten Institution zur Überwachung
der Datenströme. Das Amt muss sich beim Innenminister und
Reichsführer SS Heinrich Himmler durch gute Resultate beweisen,
sollte es nicht seine Eigenständigkeit einbüßen und irgendeiner
SS-Organisation angeschlossen werden. Die Ergebnisse lassen sich
sehen: Mit wenigen Tastenkombinationen wird, zum Beispiel, bereits im Jahr 1942
(statt real 1944) vom NSA-Schreibtisch in Weimar aus die Familie von Anne
Frank in ihrem Versteck in Amsterdam aufgespürt. Helene,
zunächst stolz über das Lob ihrer Vorgesetzten, merkt mit
zunehmendem Entsetzen, dass ihre Arbeit dazu dient, Menschen in den
Abgrund zu stürzen. Und
eines Tages klopft ein Freund an ihre Tür: er ist von der Wehrmacht desertiert und braucht
dringend ein Versteck ...
Ein spannender, flüssig geschriebener
thriller-artiger Roman, den man in einem Zug durchliest, mit Tempo,
einigen deftigen Szenen und gelegentlichen Überzeichnungen. Man
verzeiht auch einige Dialog-Ausdrücke, die in der Zeit des Dritten
Reichs kaum verwendet worden wären. Die komplexen Vorgänge werden
klar und verständlich dargestellt. Der Autor verneigt sich mit
Anspielungen vor literarischen Vorbildern der Utopie und Dystopie.
Das Buch gibt zu denken, nachhaltig. Man fragt sich zum Beispiel:
Sollte die Gesellschaft wirklich auf das Bargeld verzichten? Welche
Daten geben wir heute von uns preis, auch durch das harmloseste
Verhalten? Wem nützen unsere Daten, wenn sich die politischen
Verhältnisse ändern? Denn das ist eine Kernaussage: Es gibt keine
unwichtigen Daten. Auch Menschen, die Bücher anderer Stilrichtungen
bevorzugen, können und sollten dieses Buch lesen (U.R.)
Zur Bestellung
Andreas Eschbach: NSA – Nationales Sicherheitsamt
Andreas Eschbach: NSA – Nationales Sicherheitsamt
Roman. Lübbe (2018)
Eur(A) 23,60
ISBN 978-3-7857-2625-9
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