"Es ist, als wäre in die Atelierwand ein Loch geschlagen,
durch das man plötzlich ins Freie sieht".
Ein einziger Satz, der die neue Malerei des
Impressionismus definiert, kühn und allumfassend, aus der Feder des Hugo von
Tschudi, um die Jahrhundertwende in Berlin.
Hugo von Tschudi, der neue Direktor der Nationalgalerie
hat Großes im Sinn. Er kann nicht anders, als der Liebe zur neuentdeckten
Malerei Raum zu geben und dafür zu brennen. Er füllt die Wände seiner
Galerie mit Werken der Franzosen, wie Manet, Monet, Degas, Renoir und Rodin und
läßt die pathetischen Gemälde des wihelminischen
Historismus im Hintergrund verschwinden. Und Berlin gerät aus den Fugen,
sowohl durch Begeisterung als auch durch Hass. Vor allem kommt dieser Hass von
ganz oben, von Kaiser Wilhelm dem II., dessen geistiger Horizont nicht über das
Mittelmaß herausragt. Der Autorin gelingt in ihrem Roman ein Charakterportrait
dieses Mannes, dessen durch Kinderlähmung verkrüppelte linke Hand sein ganzes
Leben beeinträchtigte.
Tschudi selbst, ein Schweizer Aristokrat und Weltmann, der
glaubte, sich über die deutsche Franzosenfeindschaft und Politik um der Kunst
willen hinwegsetzen zu können. Von erhabener Gestalt, vornehmer Gesinnung,
äußerlicher Ruhe, aber großem unruhevollen und leidenschaftlichen Herzen, ziehen
seine durchdringenden braun-schwarzen Augen die Blicke der Frauen auf sich trotz
seiner unheilbaren Wolfskrankheit, die sein Gesicht verwüstet.
Tschudi nimmt den Kampf gegen Hass und Intrigen mit
Unterstützung von prominenten Freunden wie Liebermann, Menzel und privaten
Gönnern auf, doch gelingt es seinen Widersachern, vor allem des Kunsthistorikers
Wilhelm Bode und des Historienmalers Anton von Wernern ihn seines Postens zu
entheben.
"Tschudi, der einzigartige Museumsdirektor, der Schutt mit
Gold ausgetauscht hat. In den Zeitungen lieferten sich seine Widersacher einen
Schlagabtausch bestehend aus Schuldzuweisungen und Gerüchten, Lügen und Nebel".
So steht es gegen Ende des Buches geschrieben.
Tschudis Kampf für die Schönheit und für den
Impressionismus als neue Kunst des Schauens fundiert sich in seinem Ausspruch
über den Maler Manet:
"Der fortgeschrittene Impressionismus überläßt der
Netzhaut die Farbmischung, die normalerweise die Palette übernimmt".
Und "Malen im freien Licht ist nur eine Frage der Zeit gewesen
.. .."
Das Eintauchen in ein sprudelndes Berlin des Aufbruchs vom
Historismus in die Moderne macht diesen Roman zu einer großartigen Lesereise.
Mit ihrer besonderen Sprachmelodie läßt die Autorin die Bilder des
Impressionismus vor unseren Augen erstehen.
HR
Mariam Kühsel-Hussaini: Tschudi
Verlag: Rowohlt
ISBN: 978-3-498-00137-7
[A] 24,70
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