Lenka Reinerová (1916-2008) war die letzte Vertreterin der einst so bedeutsamen deutschsprachigen Literaturszene in Prag. Die Gründerin des Prager Literaturhauses (Pražský literární dům) hatte Max Brod gekannt und hatte die Exiljahre während des Zweiten Weltkriegs mit ihren Freunden Egon Erwin Kisch und Anna Seghers in Mexiko geteilt. Nun hat ihre Tochter, die Filmemacherin, Künstlerin und Psychotherapeutin Anna Fodorová ein Buch über ihre Mutter Lenka geschrieben. Es geht nicht nur um das Leben der bedeutenden und geachteten Schriftstellerin und um die letzten Wochen und Monate dieser hochaktiven Intellektuellen, sondern auch um das um das schöne, doch nicht spannungsfreie Verhältnis von Mutter und Tochter: "Es ist nicht einfach, mit Eltern aufzuwachsen, die Helden waren", sagt Anna zu Beginn des Buches.
Und heldenhaft war Lenkas Leben. Unbeugsam erlebte sie alle Fährnisse des 20. Jahrhunderts, die Vertreibung aus der besetzten Tschechoslowakei, die Deportation und Ermordung fast aller Verwandten in Theresienstadt und anderen Konzentrationslagern, die Flucht und das Exil in Übersee und - nach der Heimkehr - die schlimmen Repressionen durch das stalinistische Regime in der Tschechoslowakei. Aber "man darf sich nie selbst bemitleiden!" lautet Lenkas hilfreiches Mantra. Unter anderem ist es diese für Lenka lebensrettende Einstellung, mit der die nachgeborene, in Sicherheit aufwachsende Tochter ihr Leben lang Mühe hat. Und warum scheut Lenka den Kontakt mit ihrer einzigen überlebenden Verwandten, während Tochter Anna alles tut, um mit dieser zusammen zu kommen? Das Buch ist eine wunderschöne und gleichzeitig nachdenkliche und von Lebensklugkeit durchsetzte Lektüre. Es handelt von familiären Traumata, von großer gegenseitiger Liebe und vom Verstehen und Verzeihen.
Anna Fodorová: Lenka Reinerová - Abschied von meiner Mutter. Mit einem Nachwort von Jaroslav Rudiš. Aus dem Tschechischen übersetzt von Christina Frankenberg.
btb Verlag; Eur[A] 12,40; ISBN 978-3-442-77234-6
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