Schon oft hatte die deutsche
Schriftstellerin Natascha Wodin die ukrainisch-russische Herkunft
ihrer Mutter und damit ihre eigenen Wurzeln erforschen wollen. Doch
über die Jahrzehnte brachten sämtliche Suchanfragen beim Roten
Kreuz und anderen Organisationen kein Ergebnis. Zu verwickelt waren
die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in der
Sowjetunion gewesen, zu tragisch und blutig die ukrainische
Geschichte, als dass Natascha Wodin hoffen konnte, Spuren
von der Existenz ihrer Familie zu finden.
Nur das Ende, das hatte sie miterlebt:
Das Unglück der entwurzelten Frau, die, nach Hungersnot und
Gewalterfahrung während des Zweiten Weltkriegs von den Nazis als
Zwangsarbeiterin nach Deutschland verschleppt, sich als
Verfemte und vom Leben Verfluchte sah, und die sich, als Natascha
zehn Jahre alt war, im Dorffluss ertränkte.
Und dann das: Natascha Wodin gibt 2014
den Namen ihrer Mutter in eine russische Suchmaschine ein und erhält
einen Treffer. Und damit den Ausgangspunkt zu einer langen und
schmerzlichen, gleichzeitig haarsträubenden und beglückenden Reise
in die Welt ihrer Familie, deren Ursprünge auch im Baltikum und
letztlich in Deutschland und Italien lagen. Die vagen
Kindheitserinnerungen, denen Wodin selbst nie trauen wollte,
bestätigen sich. Die schriftlichen Lebenserinnerungen ihrer Tante
tauchen auf, können gelesen werden. Und russische Verwandte erscheinen
plötzlich, aus deren Mund sie den Satz hört: „Wir haben solange
nach deiner Mutter gesucht.“
Gesucht hatte Natascha Wodin nach
ihrer Mutter eigentlich schon immer, und noch als diese lebte. Denn die Wand, die die depressive Frau umschloss, war kaum zu durchdringen. Schonungslos beschreibt die
Autorin deren Depressionen bis hin zum Wahnsinn und das zerrüttete
Verhältnis von Mutter und Tochter. Was Flucht und Vertreibung in
Familien und Kindern anrichten kann, das wird in diesem Buch auf das
Eindringlichste und Spannendste gezeigt. (U.R.)
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Natascha Wodin: Sie kam aus Mariupol.
Rowohlt Verlag
Eur(A) 20,60
ISBN 978-3-498-07389-3
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