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Die Europäer von Orlando Figes


Es beginnt mit der ersten internationalen Bahnfahrt am 13. Juni 1846, der Eröffnung der Bahnlinie von Paris nach Brüssel. Die 330 Kilometer können nun in zwölf Stunden zurückgelegt werden, einem Viertel der Zeit, die die Kutsche bisher brauchte. 

Das ist der Startschuss zur Entwicklung und Internationalisierung des Kulturlebens in Europa bis in die 1880er Jahre. Die Verknüpfung von Kultur und den bald den Kontinent überspannenden Eisenbahnlinien macht das Buch des britischen Historikers Figes so ungewöhnlich und erhellend. Denn die damalige Revolution des Kulturmarktes mit seiner internationalen Verbreitung europäischer Musik, Literatur und Kunst ist plötzlich erklärbar. Es wird anschaulich, wie in dieser Zeit die europäische Kultur und ihr Kanon etwa an Opern, Malerei und Literatur entsteht, der bis heute unser Kulturerleben prägt. 

Im Zentrum der Beschreibung dieses Kulturpanoramas des 19. Jahrhunderts, dieses Who is Who in Kunst und Kultur, stehen drei eng verbundene Personen dieses international agierenden Kulturmilieus – die gefeierte Opernsängerin Pauline Viardot, ihr Mann Louis und Iwan Turgenew, russischer Schriftsteller und Kosmopolit, „der wohl meist gereiste Schriftsteller seiner Zeit."

Nationale Grenzen werden durchlässiger, Tourneen führen nun beliebte Künstler und Orchester durch ganz Europa. Die Bahn wird zum Symbol der Moderne. Sie lässt Güter, Menschen und Briefe rascher zirkulieren, gilt als demokratische Kraft. Sie senkt die Transportkosten zwischen 1845 und 1855 um drei Viertel. Die nun leichtere Verbreitung von (Kultur-) Gütern eröffnete neue Möglichkeiten, Klaviere gehörten jetzt zu jedem besseren Haushalt. Überregionale Zeitungen entstehen, der Zug liefert die Abendausgaben in die Provinzorten entlang der Bahnlinien. Buchhandlungen eröffnen in den Städten entlang der Bahnlinien, da sie jetzt rasch und günstig beliefert werden können. Auch die Tourismusbranche und in deren Gefolge eine Definition der Besichtigungswerten in Europas entsteht als Produkt des Eisenbahnzeitalters. Ein Aufschwung der an den Bahnlinien gelegenen Kurorte setzt ein, die jetzt auch für die Bourgeoisie und die akademischen Berufsstände erreichbar werden. Die Detailfülle und thematische Bandbreite des Buches ist schier atemberaubend und sehr vergnüglich zu lesen.

 C.H.

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Orlando Figes: Die Europäer 

Verlag: Hanser

ISBN: 978-3-446-26789-3 

Preis: [A] 35,-

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