Ein Buch über Agnes, die Frau William Shakespeares (1564-1616). Ein geschickter Schachzug: der berühmte William bleibt eher schattenhafte Randfigur.
Virtuos geschrieben entwickelt das Buch einen faszinierenden Sog. Und das, obwohl sich der Aktionsradius der handlungstragenden Agnes über den archaischen elterlichen Bauernhof, dann das Haus des hinterhältig-gewalttätigen Schwiegervaters, ein paar Gassen in Stratford-upon-Avon und den Wald dort nur einmal hinausbewegt – beim finalen London-Besuch. Es baut die Spannung auf durch eine beiläufge (Mit-)Beschreibung des Geschehens auf der Gasse, der Mitbewohner im Haus, dem Fuchs, der durch die Gassen streift, der Eule, die darüber hinweg fliegt etc..
Verdichtet wird das Geschilderte durch Agnes' eigenwillige Wahrnehmungsgaben – sie, das Naturkind, hat von ihrer früh verstorbenen Mutter das tiefe Verständnis für (Heil-)Pflanzen und einen sechsten Sinn für Menschen, ihre Befindlichkeiten, Leiden und deren Behandlung geerbt. Sie wird dafür von ihren Mitmenschen aufgesucht und ist ihnen zugleich auch etwas unheimlich. Unbeirrt geht sie ihren Weg, weiß die Hochzeit mit dem jungen Lateinlehrer ihrer Brüder durchzusetzen, zu dem sie sich hingezogen fühlt. Eben jenem ominösen Sohn eines Handschuhmachers, der zu Besonderem auserkoren ist, wie sie fühlt.
Mit ihm hat sie drei Kinder, Susanna und die jüngeren Zwillinge Hamnet und Judith. Als Hamnet bereits als Knabe an der Pest stirbt, ist Agnes, die ihn trotz ihrer Heilkundigkeit nicht retten konnte, untröstlich. Der kaum präsente Vater, der meist bei seiner Theaterkompanie in London weilt, ebenso. Er verarbeitet die Tragik dieses frühen Todes in seinem Stück Hamlet. Ein Kabinettstück: der anschaulich geschilderte Weg des Pestflohs von einem Schiffsjungen in Alexandria über Venedig bis Stratford in die englische Provinz.
C.H.
Maggie O´Farrell: Judith und Hamnet
Verlag: Hanser
ISBN: 978-3-492-07036-2
Preis: [A] 22,70
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