Der Krimkrieg (1853-1856) war bis 1914 der größte kriegerische Konflikt – zwischen Russland und dem Osmanischen Reich, das von Frankreich und England unterstützt wurde. Er war der erste moderne Krieg, dessen Zerstörungsgewalt von industriellen Technologien (moderne Gewehre und Geschütze, Dampfschiff, Eisenbahn) potenziert wurde und 750.000 Soldaten das Leben kostete.
Auf den ersten 300 Seiten wird die politische Macht- und Interessenlage in Europa herausgearbeitet: Russlands Selbstverständnis als Schutzmacht der orthodoxen Ostkirche und des Slawentums, die religiösen Wurzeln des Kriegs (vor allem auch im innerchristlichen Streit zwischen Orthodoxen und Katholiken), der Reformstau im Osmanischen Reich, die europäische Angst vor russischen Expansionsgelüsten. Figes beschreibt auch packend die neue Rolle der (britischen) Presse, die den Beginn „moderner“ Kriegsberichterstattung markiert und den Krieg und sein Grauen zeitnah in die britischen Wohnzimmer brachte – erstmals auch mit Fotos vom Kriegsschauplatz.
Die fast einjährige Belagerung von Sewastopol nahm den industriellen Schützengrabenkrieg des Ersten Weltkriegs vorweg. Der Fall Sewastopols entschied den Krieg.
Das Buch beschreibt auch wie der Friedensvertrag von Paris das Gleichgewicht der Kräfte in Europa veränderte und zum Entstehen neuer Nationalstaaten – Italien, Deutschland, am Balkan – beitrug.
Dem Krieg folgte ethnisch-religiöse Vertreibung großen Stils: Zwischen 1856 und 1863 mussten rund 200.000 muslimischen Tataren ins Osmanische Reich flüchten. Dort wurde die christliche Bevölkerung vertrieben.
Ein spannendes, erhellendes Buch, das den Krimkrieg als unheimliches Wetterleuchten deutbar macht, in dem das Grauen der Weltkriege bis hin zu den Jugoslawienkriege der 1990er-Jahre schon angelegt war. (C.H.)
Orlando Figes: Krimkrieg. Der letzte Kreuzzug
Berlin Verlag
übersetzt von Bernd Rullkötter
ISBN 978-3-8270-1028-5
Eur[A] 37.10
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